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Gerhard Gundermann, sonst nichts. In Abwandlung eines bekannten Werbeslogan. Lieder zur Gitarre, sonst nichts. Genau das reicht aus, Beifallsstürme hervorzurufen.
Ich sah Gundermann vor drei Jahren zum ersten Mal und war hinterher enttäuscht. Zu brav und bieder schien mir das Programm für den als Querkopf bekannten Liedermacher. Selbstzensur.
Am 9.12.91 merkt man ihm an: Endlich kann er so, wie er will. Auch wenn seine Kritik inzwischen weitgehend andere Adressaten hat. Selbst vor Helmut und Günther (Krause) fehlt es ihm an Respekt.
Noch immer das Hauptthema seiner Lieder: "Das Abendland braucht auf die Fresse!" Die Lieblingsfarbe: Grün. Er stellt fest: "Der Aktionsradius des Menschen ist leider größer als seine geistige Reichweite." Da ist es nicht mehr weit bis zur Radikalisierung: "Ich bin auf dem linken Ohr taub vom Panzerbüchsenschießen; aber ich will mich nicht beschweren, das Panzerbüchsenschießen kann man vielleicht irgendwann noch gebrauchen." Schwarzer Humor kommt an bei den Zuhörern.
Doch auch von Wärme und Nähe erzählen seine Lieder. Und von Hoffnung. "Wenn ich nicht mehr liegen kann, fang' ich eben wieder an zu fliegen." Der vielfach herrschenden Orientierungslosigkeit begegnet er mit philosophischen Spielereien. Jeder Mensch hat in sich das Abbild eines gesamtuniversellen Hologramms, jegliches Forschen nach dem Sinn des Seins deshalb unnötig. Er beweist das mit Episoden, die man ais der Rubrik "Wahre Wunder" gewisser Medien kennt. Mit einem Augenzwinkern. Denn dieselben Medien charakterisierte er soeben noch damit, dass da das Produkt weniger wert sei als der Rohstoff. Schlußfolgerung: "Uns kann hier keiner mehr verscheißern..."
(10.12.1991)
"Eh, Du Affe, leck mich..." Hämisches, verklemmtes Gekicher. Nerven behalten, sage
ich mir. Was hat man uns bei der Ausbildung eingeschärft? So etwas fällt unter
Testanruf! Der routinierteste "Telefonseelsorger" ist also der, der antwortet: "Ich freue
mich, dass ihr so intelligent seid und die Nummer des Kinder- und Jugendtelefons
herausgefunden habt. Wenn ihr also tatsächlich einmal ein ernsthaftes Problem habt,
dann könnt ihr uns gern wieder anrufen. Wir hören zu - solange Ihr wollt, und alles
bleibt unter uns. Jetzt bitte ich euch aber, wieder aufzulegen. Denn vielleicht ruft
gerade jetzt ein verzweifelter Jugendlicher vergeblich an. OK?"
Doch für so eine nervenstarke Rede war ich heute zu langsam. Der halbstarke
Testanrufer hat bereits aufgelegt. Wo soll ich jetzt einen Strich machen? Bei
"Familienprobleme"? Bei "Schule und Ausbildung"? Bei "Liebe und Partnerschaft"? Oder
bei "Problemen mit sich selbst"? Beinahe hätte ich auf letzteres getippt. Wäre da nicht
noch die Spalte "Belästigungen, Schweige- und Testanrufe"! Dort sind heute schon
zwei Striche. Das waren zwei Schweiger. Sehr geduldig. Vielleicht auch
einundderselbe, der es zweimal vergeblich versuchte, über sein Problem zu reden.
Fast zwei Minuten hatte es gedauert, bis wieder das Freizeichen ertönte.
Und nun sitze ich wieder und warte. Manchmal kommen die ganzen vier Stunden
keinerlei Anrufe. Dann aber klingelt das Telefon wieder beinahe mit Dauerton. Jungen,
die wissen wollen, wie sie ein bestimmtes Mädchen zur Freundin kriegen können.
Mädchen, die sich in den Mathelehrer verknallt haben. Aber auch Kinder, die von
ihren Eltern geschlagen werden. Die sich sorgen machen, weil die Oma ins
Krankenhaus gekommen ist. Manchmal kommen Dauerkontakte mit bestimmten
Anrufern zustande. Manchmal bedankt sich auch jemand für einen Hinweis, Wochen
später.
Bis dahin aber immer wieder die Frage: "Was soll ich nun machen?" Doch gerade diese
Frage will und kann ich nicht beantworten. Denn in den wenigen Minuten kann man
gar nicht genug über das konkrete Problem erfahren. Die ideale Super-Lösung haben
auch wir nicht parat. Wir sind auch "nur" ehrenamtliche Mitarbeiter des
Kinderschutzbundes. Eigentlich versuchen wir lediglich, durch geschicktes Fragen den
Kindern und Jugendlichen zu helfen, sich ihre Frage selbst zu beantworten. Manchmal
kommt da Erstaunliches zu Tage. So dass ich oftmals das Gefühl habe: Die Anrufer
wissen schon die Antwort auf ihre Frage. Sie wollen diese Antwort nur noch einmal
bestätigt haben. Von einem scheinbar kompetenten Erwachsenen.
Diesmal heißt es warten bis kurz vor 19 Uhr. Dann ruft ein Mädchen an. Auch sie
schweigt lange. Ich erzähle ihr vom Anliegen des Sorgentelefons. Und schließlich
redet sie. Nicht über das Problem, wegen dem sie angerufen hat. Sondern nur von
ihren Schwierigkeiten, über ihr Problem zu reden. Aber das ist bereits ein Erfolg für
sie.
Das Kinder- und Jugendtelefon ist von Montag bis Freitag von 15-19 Uhr erreichbar. In
Zwickau unter 11103. Im Kreis Zwickauer Land unter 0130-114644.
(Aktuelle Anmerkung: Die Telefonnummern wurden inzwischen ersetzt durch die einheitliche Nummer 0800-1110333.)
Der Deutsche Kinderschutzbund e.V. sucht auch noch weitere freiwillige Mitarbeiter,
die hier am anderen Ende der Strippe sitzen wollen. Dafür ist die Teilnahme an einem
kurzen Lehrgang erforderlich, der immer sonnabends stattfindet. Wer Interesse hat,
kann sich bei der Geschäftsstelle Zwickau unter Telefon 0375-281708 melden.
(15.05.1996)
Wie wurde in der DDR junge Literatur gefördert und was passierte auf den Poetenseminaren der FDJ? Ich bin vielleicht ganz gut geeignet, diese Fragen zu beantworten. Und zwar deshalb, weil ich in dieser Poetenbewegung nicht sehr erfolgreich war, nie einen Preis erhielt und nie in Veröffentlichungen berücksichtigt wurde. Ich war dafür nicht etwa zu oppositionell, sondern einfach zu schlecht. Aber ich lernte in dieser Poetenbewegung die literarischen Grundprobleme verstehen.
Harry, der Leichengräber
Zu Beginn meines Berichtes möchte ich grob meinen politischen und literarischen
Standort beschreiben, damit auch klar ist, wer hier schreibt.
Ich werde mich nie dazu benutzen lassen, die DDR zu verteufeln. Ich hatte in ihr keine
wesentlichen Repressalien zu erleiden. Und habe mich nie unfrei gefühlt. Ich hatte
eine berufliche Perspektive ohne soziale Ängste. Und ich hatte die feste Überzeugung,
dass alle Probleme lösbar wären. Mit meinen Texten wollte ich solche Probleme
aufzeigen und Lösungsvorschläge unterbreiten. Und nebenbei den Leser unterhalten.
Natürlich habe ich mittlerweile erkannt, was an der DDR schlecht und welche
Probleme unlösbar waren. Aber verglichen mit dem jetzigen gesellschaftlichen
Zustand (Sozialabbau, militärische Auslandseinsätze, Massenarbeitslosigkeit,
Arroganz der Politiker, großer Lauschangriff etc.) kann ich insgesamt keinerlei
Fortschritt feststellen.
Die Wasserleiche in Prierow
Zur Poetenbewegung kam ich über einen Aufruf in der Bezirkszeitung "Freie Presse"
zum KuBa-Literaturwettbewerb (KuBa war das Pseudonym eines vor längerer Zeit
verstorbenen, ziemlich linientreuen DDR-Schriftstellers.) Ich schickte eine typische
Anfänger-Geschichte ein, voller platter Klischees und altkluger Lebensweisheiten, aber
mit klarer antikapitalistischer Ausrichtung. Ich gewann nichts, aber meine Adresse
wurde dem Bezirkskabinett für Kulturarbeit bekannt, das für die Auswertung dieses
Literaturwettbewerbes mitverantwortlich war. Und auch für die Organisation der
Bezirkspoetenseminare. Solche Seminare fanden wohl in allen Bezirken statt.
Erfahrene Schriftsteller hörten sich die Texte der Newcomer an, kritisierten, machten
Verbesserungsvorschläge. Sie zerschlugen Teenagerträume, rückten Köpfe zurecht
und bahnten Karrieren an. Die besten Teilnehmer erhielten Förderpreise in Form von
Büchergutscheinen, Texte von ihnen wurden in Zeitungen veröffentlicht. Und sie
rückten in den Kandidatenkreis für eine Teilnahme am "Zentralen Poetenseminar der
FDJ", das alljährlich in Schwerin stattfand.
Aus voller Kehle lachen kann man nicht allein
Die Auswahl für diese Veranstaltung erfolgte offiziell über die Teilnahme am
alljährlichen Literaturwettbewerb der FDJ-Tageszeitung "Junge Welt". Aber ich lernte
auch Poeten kennen, die ohne eine solche Beteiligung nach Schwerin eingeladen
wurden. Soweit ich das überblicken konnte, waren es vom literarischen Können her
wirklich die besten. Und nicht etwa die politisch "überzeugtesten". In der "Jungen Welt"
erschien jede Woche die "Poetensprechstunde". Das war eine Kolumne, in der Hannes
Würtz, der Hauptrepräsentant der Poetenbewegung, neben Texten gestandener
Autoren auch die seiner Meinung nach besten Gedichte von Jungautoren
veröffentlichte. Das war immer subjektiv, aber nicht uninteressant. Texte junger
Autoren wurden aber auch in anderen Zeitschriften veröffentlicht. So in der "Frösi"
(Abkürzung für "Fröhlich sein und singen"), einer recht beliebten Pionier-Zeitschrift. In
dem für Wissenschaft und Technik zuständigen "Technikus". Und im "NL" ("Neues
Leben"), dem für die etwas älteren zuständigen "Bravo"-ähnlichen Magazin.
Die wichtigste Veröffentlichungsmöglichkeit aber bestand in "Temperamente, Blätter
für junge Literatur" des Verlages Neues Leben. Die erschienen viermal im Jahr in sehr
schöner Aufmachung. Wer gute Sachen schrieb, egal ob Prosa oder Lyrik, wurde dort
auch abgedruckt. Die besten Autoren bekamen dann ein eigenes "Poesiealbum" des
gleichen Verlages. Danach waren sie aber schon als "etablierte" Autoren zu
bezeichnen. Jedes Jahr zum "Zentralen Poetenseminar" erschien eine Sonderausgabe
des "Poesiealbum" mit den besten Texten der Schweriner Teilnehmer.
Der Unfalltote Andreas
Nun aber wieder zu mir. Durch Vermittlung meines Deutsch-Lehrers fand ich während
meiner Abiturzeit 1985 Anschluß an den "Zirkel schreibender Studenten und
Mitarbeiter" der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt. Dort wurden Texte überaus
streng kritisiert, wenn nicht gar verrissen. Stets aber mit dem Ansporn, es besser zu
machen. Die bis zu zehn Teilnehmer trafen sich während der Vorlesungszeit alle zwei
Wochen, immer am Mittwochabend. Unser Zirkelleiter war für mich nicht nur
literarische Respektsperson, sondern auch der Mensch, der mir erstmals vom wahren
Ausmaß der Stalinschen Repressalien, vom Geheimprotokoll des deutsch-sowjetischen
Nichtangriffspaktes von 1939 und etlichem anderem erzählte. Es kam die Zeit von
Gorbatschow, Sputnik-Verbot, Ozonloch, Waldsterben, der Diskussion um das
Luxemburg-Zitat von der "Freiheit des Andersdenkenden" und den Ereignissen auf dem
Platz des "Himmlischem Friedens". In unserem Literatur-Zirkel war auch das alles
Thema. Offen diskutierten wir und wurden in unseren Meinungen zunehmend
kritischer zur herrschenden Politik. Aus dem Munde von Leuten, die es wissen
müssen, erfuhr ich Jahre später, dass mein hochverehrter Zirkelleiter informeller
Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit war. Von mir hatte er sicherlich
wenig zu berichten. War er ein skrupelloser Spitzel? Oder ein
kritischer Kopf, der über seine Kontakte ein reales Bild malen und damit Positives
bewirken wollte? Wer nicht dabei war, wird nicht verstehen, warum ich von letzterem
überzeugt bin.
Die Fliege sitzt auf dem roten Knopf
Trotz dreier Anläufe schaffte ich es nie, nach Schwerin eingeladen zu werden (Gründe
siehe oben). Wohl aber einige von denen, die ich auf den Bezirkspoetenseminaren
meines Bezirkes Karl-Marx-Stadt kennengelernt hatte. So erfuhr ich auch immer
brühwarm, welche Sensationen und Skandale sich in Schwerin ereignet hatten. Dort
hielt 1988 bespielsweise André Brie, damals anerkannter Querdenker und
Gorbatschow-Anhänger, später zeitweise stellvertretender PDS-Parteivorsitzender,
einen Vortrag zum Thema "Abrüstung", der zu Recht Aufsehen erregte. Er forderte u.a.
die "Entmachtung der Bürokraten, Ja-Sager und Claqueure" und kritisierte mit einer in
den Zeitungen undenkbaren Offenheit die Mißstände des real-existierenden
Sozialismus. Während der einen Schwerin-Woche erschien täglich für alle Teilnehmer
eine Zeitung namens "Rote Feder", die Programm, Diskussionsforum und
Veröffentlichungsmedium zugleich war. In der "Roten Feder" wurde André Bries
Vortrag ungekürzt abgedruckt, ebenso in den "Temperamenten".
Denn sie haben das Geländer zerbrochen
Warum ich das erwähne? Weil das meiner Meinung nach beispielhaft war für die
offene Atmosphäre und die Diskussionsthemen. Wer je einen evangelischen Kirchentag
erlebte, hat ein wenig eine Vergleichsmöglichkeit. Selbst der bis heute jenseits aller
Kritik stehende Stephan Hermlin wurde in Schwerin von einer Jungautorin attackiert
wegen seiner politischen Geduld. Daß das MfS sicherlich genug IM's unter den
Teilnehmern und Organisatoren der Seminare hatte, darf allerdings nicht unerwähnt
bleiben.
Die Poetenseminare zeichneten sich auch dadurch aus, dass Liedermacher auftraten
und Begegnungen mit anderen Kunstgattungen, wie Malern und Filmemachern,
stattfanden. Und natürlich wurde bis in den Morgen hinein diskutiert, geraucht,
getrunken und geliebt.
Das Bettlaken hänge ich an die Wand
Die Bezirkspoetenseminare waren zwar nicht ganz so berühmt wie Schwerin, aber die
dortige Atmosphäre ließ mich eine Ahnung davon bekommen, wie Schwerin war. Das
merkte man Anfang November des Jahres 1989, als das Seminar mitten in die
Wende-Ereignisse fiel und wir gewissermaßen von allen Ketten losgelassen waren.
Unsere Texte handelten von Republikflüchtigen und Hierbleibern, von Wahlritualen
und Informationspolitik, von Mauern und Reisen. Einige Teilnehmer gründeten in
ironisch-künstlerischer Absicht eine eigene Partei, die "Sächsisch-Alternative
Plattform". Schenkelklopfend verfolgten wir gemeinsam am Bildschirm die große
Berliner Demonstration vom 4.11. Und die mit uns gemeinsam ihr Seminar
veranstaltenden Nachwuchs-Grafiker überdeckten ein wehrpolitisch-agitatorisches
Wandbild mit einem auf Bettlaken gemalten Gemälde mit dem Titel "Neues Denken".
Jeder mit seinem Flämmchen
Zusammenfassend glaube ich folgendes feststellen zu können:
1. Junge Literatur wurde im Osten mit weitaus größerer Aufmerksamkeit gefördert als
im Westen.
2. Sie wurde auch in weitaus größerem Maße unter Kontrolle behalten.
3. Trotzdem bot die Poetenbewegung einen erheblichen Freiraum für mitdenkende
junge Menschen, die bewegen und verändern wollten.
Die Literaturszene brach nach 1990, wie so vieles, weitgehend zusammen. Gelder
fehlten. Einige Aktivisten engagieren sich heute bei der Durchführung des
Wettbewerbes "Jugend schreibt". Ehemals staatlich geförderte Initiativen mußten sich
westlichen Gepflogenheiten anpassen. Vereine wurden gegründet. Unter anderem der
"Autorenverein e.V.", der versucht, die Traditionen der Poetenbewegung zu bewahren.
Allerdings für Amateur-Poeten aller Altersklassen, nicht nur der Jugend. Ehemalige
IM's zogen sich ins Privatleben zurück. Und neue Gruppen entstehen, die ohne Bezug
auf DDR-Traditionen einfach versuchen, Neues aufzubauen. Ich bin heute Mitglied des
"Autorenkreis Zwickau", der vom "Förderverein Literatur e.V." getragen wird.
(1996)
5. Bezirkspoetenseminar der FDJ, Neudorf 1986
Eine literarische Collage
Die Fliege sitzt
auf dem roten Knopf,
sprach Harry,
der Leichengräber,
zum Unfalltoten
Andreas (oder zur
Wasserleiche in Prierow?),
denn sie haben
das Geländer zerbrochen.
Das Bettlaken hänge ich
an die Wand,
aus voller Kehle
lachen kann man nicht
allein,
jeder mit
seinem Flämmchen,
und aus Versehen
regnet es Sperma.
(25.10.1986)
(Anmerkung: Die Veröffentlichung in der "Schublade" erfolgte unter der Überschrift "Junge Literatur im Sozialismus", ohne das Gedicht und ohne die dem Gedicht entnommenen Zwischenüberschriften.)
Die Umwelt wird versaut. Einige wehren sich nach Kräften. Doch Massenproteste sind nicht in Sicht.
Seit einigen Jahren laufen die Diskussionen um eine schnellere Verbindung zwischen den
Bundesautobahnen A4 Eisenach-Dresden und A72 Hof-Chemnitz. Ein darin eingeordneter Baustein
soll die Freitagstraße sein. Sie verbindet auf 5 km Länge die B173 (Dresdner Straße) mit der S283
(Wildenfelser Str.) in der Ortslage zwischen Mülsengrund und Reinsdorf. Zur Zeit handelt es sich
dabei um nicht mehr als einen besseren Feldweg, der aufgrund seiner Enge und schlechten
Beschaffenheit das tut, was er auch nach Meinung vieler Umweltfreunde tun soll: Den
Durchgangsverkehr abschrecken! Warum? Die Freitagstraße liegt in einer der letzten
zusammenhängenden unbebauten Naturflächen der Umgebung, die überwiegend landwirtschaftlich
genutzt werden. Der Planungs-Vorentwurf gesteht ein:
"Es ist eine größere Population u.a. von
Feldhasen bekannt, mit regelmäßigen Wildwechseln ist zu rechnen."
Darüber freuten sich bisher vor
allem die Weidmänner. Doch auch alle anderen Naturfreunde hätten unter dem Ausbau der Straße zu
leiden:
"Durch den Betrieb der neuen Straße vergrößert sich einerseits die Barrierewirkung.
Betroffen hiervon sind hauptsächlich die flugunfähigen Arten der Wirbellosen. Die Territorien und
Tierpopulationen werden insgesamt zerschnitten, der Isolationsgrad der Landschaftsbestandteile
(vor allem Waldflächen) wird erhöht, ein genetischer Austausch dadurch erschwert. Eine
Durchschneidung der Wildwechsel führt einerseits zu einer selektiven Einschränkung der Mobilität,
jedoch andererseits zu einer höheren Unfallhäufigkeit.
(Durchlässe oder Übergänge sind nicht
vorgesehen, d.A.)
Aus dem Arteninventar geht hervor, dass durch den Verkehr unter den Säugetieren
im besonderen Ausmaß Rehe, Feldhase, Fuchs, Igel, Hermelin, Iltis und Wiesel betroffen sind.
Unter der Avifauna wird insgesamt eine Gefährdung für: Rebhuhn, Fasan, Waldohreule, Rotmilan
und Wachtel erwartet. Der Verkehrsbetrieb bedeutet auch den Straßentod durch Kollisionen und
Druckwellen für viele Fluginsekten bei nächtlicher Beleuchtungsfahrt außerhalb des Winters. Durch
die forstwirtschaftlich ungenutzten Waldflächen sowie unterschiedlich verteiltes Extensivgrünland
haben sich einerseits die Voraussetzungen für eine artenreiche Tierwelt herausgebildet, andererseits
wird auch das Wanderverhalten gefördert.."
So steht es im Erläuterungsbericht, den der Chemnitzer
Freie Garten- und Landschaftsarchitekt Frank Schwaibold im Auftrag das Straßenbauamt Zwickau
des Freistaates Sachsen angefertigt hat.
Letzteres arbeitet mit einigen Tricks, um aus Dresden die Zustimmung zur Ausführung des Projektes
zu erhalten. So stuft man aus den Feldweg flugs zur Staatsstraße S286 auf, um dann zu sagen, dass er
der neuen Bedeutung nicht entspricht. Das kennt man vom ersten Teilstück der geplanten
Autobahnverbindung jenseits der B173, das als simple "Gewerbestraße" gebaut wurde, um es ohne
überflüssige Genehmigungen schnellstmöglich in die Landschaft stampfen zu können. Da ist der
Verdacht nicht von der Hand zu weisen, den Andreas Trautmann, Vorstandvorsitzender der IG
Stadtökologie äußerte:
"Ehe wir es uns versehen, könnte aus der zweispurigen Staatsstraße eine
vierspurige Piste werden, die man dann zwar nicht unbedingt als Autobahn bezeichnen wird, die
aber quasi eine solche ist."
Das ist die Horrorvision für Ökologen und Mitglieder des Jagdvereins,
die sich unter dem Druck der Umstände zu einer Allianz verbunden haben, um den Ausbau der
Freitagstraße zu verhindern.
Die geschätzten Baukosten betragen mindestens zehn Millionen DM. Natürlich bringt der Ausbau der
Freitagstraße Nutzeffekte:
"Mit Realisierung der Baumaßnahme ... wird die bisherige Netzlücke
geschlossen. Eine ... für die Verbindung von Autobahn zu Autobahn notwendige und zur
großräumigen, regionalen Verbindung günstige Trasse wird hergestellt. ... Weiterhin erfolgt eine
Entlastung des Siedlungsbandes im Mülsengrund... Die Nord-Süd Verkehrsverbindungen von Aue,
Schwarzenberg und Schneeberg in Richtung Leipzig verkürzen sich."
("Vorentwurf für eine Staatsstraße")
Doch was nutzt uns das, wenn unsere Enkel einmal in einer künstlichen und sterilen Umwelt leben
müssen, in der es keine Tiere und Pflanzen mehr gibt. Die Neuversiegelung durch den Ausbau der
Freitagstraße würde 30.620 m˛ betragen.
Eine Umgehung des Mülsengrundes wäre schon erreicht, wenn auf der alten Trasse die Fahrbahn
erneuert wird und einige zusätzliche Ausweichstellen geschaffen würden. Alle an der Strecke
liegenden Gewerbegebiete und landwirtschaftlichen Betriebe sind bereits verkehrstechnisch
erschlossen und benötigen somit keinen neuen Anschluß.
In einer Prognose ist von 14.000 Fahrzeuge pro 24 Stunden die Rede, allerdings war dabei nicht der
Ausbau der neuen B93 berücksichtigt, welche für die meisten Autofahrer die schnellere Verbindung
zur A72 darstellt. Außerdem soll die Verbindung zwischen der A4 und der A72 in Zukunft sowieso
hauptsächlich über die ebenfalls in Planung befindliche sogenannte "Mitteltangente" erfolgen, die sich
etwas weiter westlich befindet.
Noch ist das letzte Wort über die Freitagstraße nicht gesprochen. Die Verantwortlichen in Dresden
werden nur dann die richtige Entscheidung treffen können, wenn sich die Westsachsen lautstark zu
Wort melden. Jetzt kommt es also auf das Engagement der Betroffenen an, ob die Auto- oder die
Umweltlobby siegreich bleibt. Soviel ist sicher: Eine der beiden Seiten wird baden gehen, und das
nicht nur freitags.
(07.05.1997)
Geht es euch auch manchmal so, dass die Fingerspitzen bei längeren Touren einschlafen? Zuerst kribbelt es. Und später fühlen sich die entsprechenden Stellen taub an. In einem Zeitungsartikel las ich von einem sicheren Gegenmittel: Biogrip-Fahrradgriffe! Der ergonomische Gummiknauf funktioniert wie ein Fußbett und korrigiert die Fehlstellung der Handgelenke. Die so erreichte natürliche Gelenkposition stellt die Blutversorgung der Hand sicher und verhindert die Schädigung der Handnerven.
Solche Griffe wollte ich auch haben. Frohen Mutes begab ich mich auf die übliche Bummeltour durch Zwickaus Fahrradgeschäfte. Gleich im ersten Laden hatte ich Erfolg. Für etwa 20 Euro hätte ich sofort zugreifen können. Ein saftiger Preis, aber sicherlich für die Gesundheit gut investiert. Wohlweislich bestand ich auf einer Funktionsprobe. Und siehe da: Beide Biogrip-Griffe waren gleichlang. Wegen meiner Lenkerschaltung hätte einer erheblich kürzer als der andere sein müssen. Solche Griffe aber gibt es nicht. Schade, meinte der Verkäufer.
Im zweiten Laden gab es keine originalen Biogrip, stattdessen ein ähnliches Konkurrenz-Modell für nur 17 Euro - mit Gummilamellen anstatt des Gummiknaufes. Die Griffe lagen bequemer in der Hand, weckten aber leichte Besorgnis bezüglich der Haltbarkeit der Lamellen. Auch hier waren beide Griffe von gleicher Länge. Der Verkäufer meinte, die Lenkerschaltung ließe sich um ein paar Zentimeter nach innen versetzen, so dass man die neuen Griffe aufstecken könne. Das gefiel mir, aber ich wollte noch einen dritten Standpunkt einholen.
Im nächsten Laden gab es wieder die echten Biogrip's. Hier kosteten sie aber wirklich und wahrhaftig satte 28 Euro. - "Das ist der übliche Preis", meinte der Verkäufer. Auch er empfahl mir, die Lenkergriffe zu versetzen. Die wirkliche Überraschung kam aber noch.
Wie in den ersten beiden Läden nahm ich die Griffe in die Hand, um zu spüren, wie sie sich anfühlen. Instinktiv hatte ich die Gummiausstülpung nach vorn zu den Fingerspitzen gehalten und die Verkäufer gefragt, welcher Griff für welche Seite gedacht war. In den ersten beiden Läden hatte man mir das auch gezeigt, aber die Gummiwulst immer vorn belassen.
Hier nun erklärte mir der Verkäufer, dass die Gummiwulst nach hinten in die Handfläche zeigen müsse, denn dort lägen die Nervenenden, die durch die ergonomische Form geschützt würden. Das sah ich auch sofort ein. Hatten es die Verkäufer in den anderen Läden nicht gewusst? Hatten sie noch nie einen ernsthaften Blick in die entsprechenden Fachzeitschriften geworfen?
Und wie sollte ich mich jetzt verhalten? War mir die fachkundige Beratung den Mehrpreis von 8 Euro wert? Oder sollte ich mich für die Beratung bedanken und die Griffe dann im ersten Laden kaufen? Eine schwere Entscheidung. Und ehrlich gesagt, ich schiebe sie noch immer vor mir her. Meine Fingerspitzen sind schon wieder ganz taub davon.
(06.06.2002)
(Anmerkung: Die Veröffentlichung im "Radreport" erfolgte unter der veränderten Überschrift "Alles Biogrip oder was?" und ohne die Anmerkung.)
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