Die Osterreise 2000 des
Autorenkreises Zwickau nach Mariánské Láznê
Karfreitag,
21.4.
Ostersamstag,
22.4.
Ostersonntag,
23.4.
Ostermontag,
24.4.
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Nach Beliebe!
Es ist Karfreitag, der 21. April des
Jahres 2000. Nein, dies ist keine Science Fiction. Wir haben mittlerweile
in der Realität dieses magische Jahr erreicht.
Wir hatten vereinbart, uns um 9
Uhr in Zwickau bei Sylvia Reinhardt zu treffen. Ich treffe drei Minuten
später bei ihr ein. Silvia Fulde ist auch schon da. Gerade hat Viola
Stockmann angerufen. Sie ist mit Ronald Hametner eben in Leipzig losgefahren.
Genügend Zeit also, um noch
ein bisschen zu sündigen. Fernzusehen also. Ein Blick in die Zukunft
ist fällig. Star Trek - Deep Space Nine. Die Tribble-Jubiläums-Episode.
Dazu eine Tasse klingonischen Kaffee.
Dann treffen die beiden Nachzügler
ein. Sie hatten versprochen, mit zwei Autos zu kommen. Jedoch nur ein einzelner
"Skoda Felicia" ist zu sehen. Zu fünft in ein Auto. Mit Gepäck.
Das kann ja lustig werden.
Es wird lustig. Ich lege meine
Beine hoch. Glücklicherweise lässt mich Sylvia dann in Vojtanov
auch mal auf den Beifahrersitz. Da ist die Staatsgrenze schon überquert.
Mit einer Stunde Wartezeit. Es gibt Goulasch und Knödel.
Eine weitere
knappe Stunde später sind wir in Marianske Lazne. Marienbad. Ein erster
Promenadenbummel. Unser Quartier, die Pension Strelnice, liegt malerisch
im Wald. Ein Tennisplatz gehört dazu. Viola hatte nach längerem
Telefonieren diese Übernachtungsmöglichkeit vereinbart. Für
31 DM pro Person und Nacht im Doppelzimmer mit Frühstück. Auf
dem Balkon lese ich Mark Twains Kur-Erinnerungen. ("Was kostet das Wasser?"
- "Nach Beliebe!"; "Was kostet das Wasser?" - "Nach Beliebe!"; "Was kostet
das Wasser?" - "Nach Beliebe!"; "Was kostet das Wasser?" - "Nach Beliebe!";
"Was kostet das Wasser?" - "Nach Beliebe!"; "Was kostet das Wasser?" -
"Nach Beliebe!"; "Was kostet das Wasser?" - "Nach Beliebe!")
Für
den kulturellen Abend gibt es zwei Möglichkeiten. Sinfoniekonzert
mit Werken von Antonin Dvorak oder komödiantischer Theaterabend mit
Ephraim Kishons "Romeo & Julia". Ich bin für Dvorak. Also gehen
wir ins Theater. Das ist nach Gogol benannt, der auch in Marienbad gekurt
hat. Die erste literarische Spur.
Das Theater ist ausverkauft. Wir
reservieren Plätze im Nachtklub und essen im Hotel "Evropa" zu Abend.
Nach Vorsuppe und Hauptgang gibt es noch Palatschinken für Ronald
und Viola.
Auf der Bühne der Nachtbar
stehen Saxofon, Klarinette und Keyboard herum. Die Band besteht aus einem
einzelnen Musiker. Es gibt tschechische Schlager und Volksmusik. Mit Gesang.
Damen und Herren sitzen zum Teil
an getrennten Tischen. Die Opas laufen durch das Lokal zu den Omas und
bitten zum Tanz. Und es gibt keinerlei "Körbe"!
Bei einem moderneren Titel schaffe
ich es, die kleine Silvia zum Tanzen zu überreden. Ronald schnappt
sich Viola. Es soll die einzige Tanzeinlage bleiben. Obwohl der Alleinunterhalter
dann sogar noch Rock'n'Roll und englische Traditionals liefert. Wir sind
eben Deutsche und zeigen das auch. Wir sitzen da und glotzen.
"Christiane Vulpius, Goethes Ehefrau,
soll sich in Karlsbad die Schuhe durchgetanzt haben", sagt Viola. Na gut,
das war vor 200 Jahren.
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Ulrike & Johann
Am
nächsten Morgen wird gekurt. Mit "k". Vier Sorten Wasser zur Auswahl.
Die "Kreuzquelle" schmeckt am salzigsten und wirkt abführend, was
wir erst später erfahren. Violas Favorit ist die "Karoline". Mir sagt
der "Rudolf"-Geschmack am meisten zu.
Um
elf Uhr beginnen die musikalischen Wasserspiele. Die Fontänen tanzen
zur Melodie von Bedrich Smetanas "Moldau". Bei malerischstem Sonnenschein.
Wunderschön.
Um 13 Uhr wollen wir das Ganze
noch einmal sehen. Doch kaum eine Welle regt sich. Der Brunnen ruht.
Ich gehe zum Frisör. Im Goethe-Museum
treffen wir uns wieder. Meine gekürzten Haare werden bestaunt.
Wir sehen einen Film über
die Geschichte von Marianske Lazne und besichtigen die Räume, in denen
Goethe wohnte. Während einem seiner drei Kuraufenthalte. Wir erfahren,
in welchem Hotel Mark Twain abgestiegen war. Auch die Namen Gogol und Turgenjew
lesen wir. Dazu eine ganze Armada von Musikern und anderen Prominenten.
Dann
gibt es eine Fotosession vor dem Goethe-Denkmal. Nach alter Tradition verweigern
sich die Literaten einem Gruppenfoto mit dem Genie. Viola posiert einzeln
auf seinem Schoß. Ich als Goethes Freund, hinter ihm stehend, den
Arm wohlwollend auf seiner Schulter.
Ich schaffe es, eine kleine Wanderung
zu initiieren. Der Panorama-Blick über Marianske Lazne lockt. Der
rote Wanderweg soll geradewegs zum Aussichtsturm führen. Wir finden
ein romantisch aussehendes halbverfallenes Hotel mit herausgerissenen Fenstern.
Begehbar. Spontan klicken die Fotoapparate.
Der
Turm ist niedrig. Der Blick reicht kaum über die Baumwipfel hinweg.
Wir wollen weiterspazieren und einen Bogen nach links schlagen. Dort ist
in der Karte ein Restaurant verzeichnet. Eine Viertelstunde später
stehen wir ratlos vor den Wegweisern. Das Restaurant liegt in der Richtung,
aus der wir kommen. Zum Panorama geht es nach rechts. Nach dem Motto "Die
Karte ist richtig, die Gegend ist falsch" beharre ich auf meiner Richtung.
Und muss mich belehren lassen. Es gab zwei rote Wege. Wir haben den falschen
genommen. Das verfallene Hotel war das angebliche Restaurant. Passanten
zeigen uns den richtigen Weg. Sylvia & Viola sagen mir, dass sie das
auch gewusst hätten.
Marianske Lazne hat auch eine Jugendherberge.
Unsere eifrige Quartiersucherin Viola hatte das nicht herausgekriegt. Dafür
essen wir jetzt darin zu Mittag. Ein Jagdschloss mit verfallender Fassade.
Daneben ein "Rübezahl"-Denkmal. Und Sandstein-Figuren von Zwergen,
die Meer-Jungfrauen einfangen.
Eine
Viertelstunde von der Jugendherberge entfernt erreichen wir den wirklichen
Panorama-Blick. Der Turm scheint Teil einer alten Befestigungsanlage zu
sein. Der Ausblick ist wunderschön. Hoch oben lesen Viola und Sylvia
aus dem Reiseführer vor.
Auf
dem Rückweg kommen wir wieder am anderen Goethe-Denkmal vorbei. Zu
dunkel bereits zum Fotografieren. Der berühmte Mann diesmal stehend
und auf ein Blatt Papier schauend. Eine selbstbewusste Muse neben ihm.
Wir halten sie für Ulrike von Levetzow. Neunzehn Jahre jung war sie,
als sie den Heiratsantrag des greisen Goethe ablehnte. Nie wieder kehrte
dieser deshalb nach Marienbad zurück.
Den Abend verbringen wir in der
Bar unserer Pension. Der Portier, der uns den Raum aufgeschlossen hat,
springt noch eine Weile herum und hofft, dass wir ihm ein paar Getränke
abkaufen. Doch wir sind mit allem eingedeckt, was man für einen lustigen
Abend benötigt. Brot und Wein. Wurst und Käse.
Viola liest Goethes "Marienbader
Elegien". Die melodischen Verse machen müde. Altmodisches Blabla,
das mir heutzutage nichts mehr zu geben vermag. Ich bin ein Kunstbanause.
Ich verschwinde als erster in der
Koje. Die anderen sitzen noch bis weit nach Mitternacht.
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Pure Science-Fiction
Am Sonntag geht es gleich nach dem
reichhaltigen Frühstück wieder mit unseren Trinkbehältern
auf die Kurpromenade. Die Sonne scheint noch wärmer als gestern. Auf
der Bühne der prachtvollen gusseisernen Kolonnade steht ein Mädchenchor.
Der Gesang hallt melodisch über den Platz.
Wir warten auf die Brunnen-Vorführung
um 11 Uhr. Umsonst. Kaum eine Welle regt sich. Das Wasser ruht.
Wir besichtigen eine Verkaufs-Galerie.
Bilder von einheimischen Künstlern. Und wunderschöne Glasplastiken
mit farbigen eingeschlossenen Ornamenten.
Dann bummeln wir zur ehemaligen
anglikanischen Kirche und schauen uns die Foto-Ausstellung an, die dort
gerade zu sehen ist.
Nach dem Mittagessen verabschiedet
sich unser Pärchen. Die beiden wollen auf der Wiese ein Mittagsschläfchen
zelebrieren. Silvia & Sylvia gehen mit mir in die russisch-orthodoxe
Kirche. Für zehn Kronen Eintritt gibt es einen farbenfrohen Keramikaltar
zu sehen. Mit Gold- und Kobalt-Überzug. (Wie war das, als Jesus die
Wechsler aus dem Tempel jagte?)
Dann wartet noch das Chopin-Museum.
Wir werden den Literaten untreu und wenden uns einem Musiker zu, zu dessen
Ehren in Marienbad alljährlich ein Klavier-Musik-Festival veranstaltet
wird. Die große Sylvia betritt zuerst die Museumsräume. Ich
folge mit der kleinen Silvia in meinem Schatten. Die Kassiererin fragt:
"Ist die Kleine schon 14?" Wir brechen in schallendes Lachen aus. Die kleine
Silvia ist die Älteste von uns allen! Der Kassiererin ist das schrecklich
peinlich. Sie entschuldigt sich vielmals und erzählt uns die kleinen
Geheimnisse über den großen Künstler.
Endlich bekommen wir auch eine
Erklärung für den launenhaften Springbrunnen. Die Fontänen
tanzen erst, wenn Anfang Mai offiziell die Kursaison beginnt. Bis dahin
ruht der Brunnen. Was wir am Karfreitag erlebt haben, war höchstwahrscheinlich
nur eine Probe gewesen, für uns ein wunderbarer Glücksfall.
Nach dem ausgedehnten Stadtbummel
empfängt uns die Pension mit schattiger Kühle. Ich lese. Weder
Goethe, noch Gogol. Kein Mark Twain und kein Turgenjew. Sondern pure Science-Fiction,
die noch dazu nicht einmal in Marianske Lazne spielt.
Eine Stunde nach der vereinbarten
Zeit ist von den beiden Leipzigern noch keine Spur zu sehen. Ich lege mich
also noch ein bisschen aufs Ohr. Als ich nach einer weiteren Stunde erwache,
bin ich noch immer mit Silvia & Sylvia allein. Wir beschließen,
das Lagerfeuer ohne unsere Vermissten anzuwerfen. Es glimmt nur kümmerlich
vor sich hin. Das Holz ist zu nass. Unser Pärchen kommt erst weit
nach Anbruch der Dunkelheit aus einer Weinstube zurück. Der meist
so intellektuelle Ronald schafft es sofort, mit ein paar trockenen Ästen
dem Feuer echtes Leben einzuhauchen.
Um Mitternacht sitze ich nur noch
mit der kleinen Silvia allein vor dem Feuer. Als die letzte Flamme erlischt,
stellen wir fest, dass Ronalds Platz in meinem Zimmer leer ist. Ich kriege
also heute Nacht sogar noch eine weibliche Schlafgefährtin.
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First Class im Kloster
Beim morgendlichen Jogging bemerke
ich viele Kinder und Jugendliche mit Stöcken, an denen bunte Bänder
befestigt sind. Wir brauchen nicht lange darüber zu grübeln.
Zwei Jungs sehen sich spitzbübisch an. Dann schlagen sie zaghaft mit
ihren Stöcken auf unsere drei Frauen ein. Ein regionaler Osterbrauch.
Dafür verlangen die Jungen dann ein paar Geldmünzen, die sie
auch erhalten.
Die Taschen in den "Felicia" gepackt.
Eine letzte Trinkkur gemacht. Die Flaschen mit echtem Quellwasser gefüllt.
Marienbader Obladen gekauft. Abschied genommen von der wunderschönen
Stadt. Es kann losgehen. Weitgehend widerspruchsfrei folgt man meinen Anweisungen
zur Fahrtstrecke nach Tepla. Das Kloster war die Geburtshelferin von Marienbad.
Beide Orte bilden quasi eine Einheit. Man kann nicht das eine gesehen haben
und das andere liegenlassen.
Die
deutschsprachige Führung hat einen stolzen Preis. Neunzig Kronen.
Das sind fünf Deutsche Mark. Oder 2,56 Euro. Ronald zahlt, ohne mit
der Wimper zu zucken. Und wir folgen.
Aber es lohnt sich. Durch die vielgliedrige
prächtige neugotische Klosterkirche und die historische, zweitälteste
böhmische Bibliothek führt der Weg auch durch die Räume
der wiederangesiedelten Mönche. Zu CSSR-Zeiten hatte man diese verhaftet
und aus dem Kloster eine Kaserne gemacht. Ohne die gut eingeübte Erläuterung
wäre der Bummel nur halb so interessant gewesen.
Im Kloster finden wir ein First-Class-Restaurant.
Gäste sind vor allem die Nutzer des benachbarten Golf-Platzes. Die
Gerichte sind etwa dreimal so teuer wie normal in Tschechien. Zum Glück
hat Ronald den richtigen Riecher und führt uns in eine urige Spelunke.
Das richtige Kontrastprogramm für arme Literaten. Zum Abschied gibt
es noch mal Knödel mit Goulasch.
Ohne Grenz-Aufenthalt geht es dann
innerhalb von zwei Stunden zurück nach Zwickau.
Als Viola während der Fahrt
Durst bekommt, fragt sie: "Haben wir noch was anders zu trinken als Quellwasser?"
- "Ja, Quellwasser.", antworte ich.
Hoffentlich reichen die abgefüllten
Flaschen noch ein paar Tage, um die schönen Erlebnisse dieses Osterwochenendes
ein wenig im Alltag nachwirken zu lassen.
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der brunnen ruht
nackter weiblicher körper
vor der berührung
auch die augen ruhen
bis der takt einsetzt
die poren ihn aufnehmen
und spielen lassen
der augen lust
© Bert Winkler · 2000
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